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Der Solex-Schmu von Tongeren

  Es war noch dämmrig, der Nebel hing zwischen den Straßenlaternen wie ein grauer Vorhang, als Prof. Dr. Werner Knorb barfuß über das Kopfsteinpflaster tappte. Der Trödelmarkt von Tongeren erwachte gerade: Händler klappten ihre Tapeziertische auf, ein altes Transistorradio krächzte Brassens, irgendwo zischte eine Kaffeemaschine, und der Duft von Waffeln mischte sich mit feuchtem Karton. Knorb bewegte sich nicht wie ein Käufer, sondern wie ein Schiedsrichter, der den Platz betrat. Er wusste: Er musste nichts suchen – die Dinge traten von selbst zu ihm. Mit einer beiläufigen Geste strich er über Schallplattenhüllen, schnalzte abschätzig mit der Zunge, klopfte auf eine verbeulte Trompete, als hätte er schon ihr Urteil gefällt. Bei einem verrosteten Vierteltonhorn blies er ein paar Takte der Brabançonne , nur um es dann mit wegwerfender Miene zurückzulegen. Händler grinsten. „Der alte Affe wieder. Bringt alles zum Klingen.“ Doch sie wussten auch: Mit ihm zu feilschen war aussichtslos...
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Carepaket aus Walsum

  Alle drei Monate dasselbe Ritual. Ein leises Surren kündigt ihn an, dann biegt der kleine elektrische Lieferwagen von DPD um die Ecke des ehemaligen Pumpwerks Alte Emscher .  "Hallo Herr Professor!", ruft Mehmed, grinst unter seiner Basecap, während er ein Päckchen in die Höhe hält. "Nachschub. Die Cheffin schickt schwarzes Gold." Professor Dr. Werner Knorb , Deutschlands einziger Jazzprofessor, unterbricht selbst die konzentriertesten Improvisationen. Er legt seine Tuba beiseite, als Mehmed die große Stahltür des Pumpwerks einen Spalt öffnet. Und Fritz und Gustav , die Herren Dackel, ihn kläffend begrüßen. Knorb weiß, wer "die Cheffin" ist. Marion Ahlers , Tierpflegerin in Rente. Mit dem Opinel schlitzt er vorsichtig das Paketband auf und fördert einen vorbildlich gepolsterten Karton zutage. Darin: drei Gläser Walsumer Schwarzmus von Bauer Blomenkamp. Es ist seine Sorte. Jene tiefdunkle, würzige Schlotze, die nur auf dem Hof Blomenkamp in Walsum nach e...

Die Emscher-Oase: Knorbs Coup de Meiderich

  Für Professor Knorb war das ehemalige Pumpwerk Alte Emscher in Duisburg-Meiderich mehr als eine Immobilie – es war eine Vision. Ein Refugium für den Jazz, fernab steriler Konzertsäle, mitten im Revier. Der Weg dorthin war kein Spaziergang, sondern eine Expedition durch den Dschungel der Duisburger Lokalpolitik – ein Terrain, das Knorb mit der gleichen eigenwilligen Virtuosität bespielte wie seine Tuba. Gerüchten zufolge begann alles mit einer folgenschweren Begegnung auf dem Duisburger Weinfest. Knorb – florale Brille, Dackelgespann Gustav und Fritz im Solex-Seitenwagen – traf auf Oberbürgermeisterin Bärbel Zieling und den einflussreichen SPD-Fraktionschef Bruno Sagurna. Ein Glas Chinon, ein zweites, dann saß Knorb nicht nur am Tisch, sondern in den Köpfen der Entscheider. Er sprach von kultureller Avantgarde, von internationaler Strahlkraft für eine Stadt, die man eher mit Kohle und Stahl als mit Jazz verbindet. Was folgte, ging als die legendäre Mauschelei in die Stadtgeschich...

Tuba Total: Die Kaiserberg Kakophonie

  Kabinett 4B im Institut für Zeitungsforschung Dortmund. Hier liegt ein Eckklemmer mit der Aufschrift „not for digitization – Anfrage nur analog". Darin ein Microfiche des fast vergessenen dänischen Fachblatts The Messingblæser – Ausgabe November 1971 mit einer Kritik zur Habilitation von Dr. Werner Knorb. Wir haben Einblick genommen. Soviel vorab: Es ist befremdlich. Anders Lindstrøm: „Kreuz Kaiserberg" (1971) von Werner Knorb Die Habilitationsarbeit „Kreuz Kaiserberg" ist kein Musikstück im herkömmlichen Sinne, sondern eine kakophone Tonalitätsverweigerung des urbanen Verfalls. Knorb, zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg zur Selbstkasteiung im Dienste der Tonkunst, verarbeitet in der rund 42-minütigen Tuba-Solo-Komposition ausschließlich Frequenzen, die am Autobahnkreuz Kaiserberg zwischen 3:40 und 4:15 Uhr morgens messbar sind. Natürlich nur retroauriculär. Inspiriert von Pendereckis „Polymorphia", beginnt das Werk mit einem nahezu unhörbaren Infraschall, erz...

Pflaumenmus partout?

  Professor Ulrich Haas seufzte. Nicht aus Enttäuschung, eher aus einer tiefen, wissenden Müdigkeit, die nur jahrelanges Unterrichten von Genies am Rande des Wahnsinns mit sich brachte. Knorb, sein begabtester Kommilitone , hatte wieder einmal dieselbe Passage im "Concerto for Tuba" von Ralph Vaughan Williams versemmelt. Immer an derselben Stelle. Ein leises "Plopp", wo ein voluminöses H erklingen sollte. "Meiderino", sagte Haas schließlich, seine Stimme eine Mischung aus väterlicher Geduld und professoraler Autorität. "Wir hatten das doch schon. Dein Ansatz ist... sagen wir, avantgardistisch. Aber das 'Plopp' gehört nicht dazu. Hast du die Ventile mal wieder nicht gereinigt?" Knorb, barfuß wie immer und mit seiner obligatorischen floralen Brille auf der Nase, kratzte sich hinterm Ohr. "Nun, Herr Professor, das ist ein Missverständnis. Ich reinige meine Tuba regelmäßig. Nur... gestern Abend gab es da diesen kleinen Zwischenfall....

Per Niederflurbus zum Folkwang

Willem war nicht da, als Werner ging.  Tierpflegerin Marion Ahlers hatte ihm noch einmal die florale Brille geputzt. Hatte das Sacko aus dem Altkleidersack, das zwei Nummern zu groß war, an den Schultern zurecht gerückt. Hatte Werner den Vierfahrtenschein Preistufe B mitgegeben. "Werner, mit der Elektrischen 901 bis Hansastraße und dann den 134er Niederflur nach Werden. Kannst Du Dir das merken?" Und nun fuhr er. Nicht weg, nicht nach Hause – irgendwohin dazwischen. Werden. Folkwang. Er wusste nicht, ob sie ihn ernst nehmen würden. Ob man ihn überhaupt vorspielen ließ. Und ob Willem es je erfahren würde. Seine Mutter Helga hatte ihm Mut gemacht: "Werner, Du schaffst das." Was keiner gesagt hat: An der Ruhrtalstraße muss man noch von der 134 in den 180 Bus umsteigen, um zum Klemensborn zu kommen. 7.45 Uhr. "Sie sind aber früh dran, Herr Knorb", sagte Hausmeister Korten, der Werner den Vorspielsaal aufschloss. "Ihre Prüfung ist erst um 9 Uhr." ...

Mutter Helga – und immer flüstert der Ituri

    Sie kam im Jahr der großen Dürre, 1961. Helga, ein Schatten und Angst, mitten in einem Frachtraum voller Heu und dem fahlen Licht eines Batterielämpchens. Der Ituri-Wald, den sie kannte, war ein Gewebe aus Geruch und Klang – feuchte Erde, verrottendes Holz, das metallische Zirpen der Zikaden, das tiefe Brummen der Waldelefanten, das leise Rascheln von Fingern auf Rinde. Hier, in der Kiste, war alles steril, dumpf, tot. Marion Ahlers , damals noch jung und neu im Duisburger Zoo, sah mehr als nur ein verängstigtes Tier. Sie sah Augen, die zu viel gesehen hatten. Helga saß Tage nur da, ein Fellbündel in der Ecke ihres neuen, viel zu kleinen Geheges. Sie rührte kein Futter an, reagierte kaum auf Rufe. Willem , der schon im Zoo geborene Schimpanse aus Arnheim, der seinen Blechnapf wie ein balinesisches Gamelan bearbeitete, war ihr fremd. Seine Geräusche waren zu hart, zu konstruiert. Sie verstand seine Rhythmen nicht, nur die Leere, die sie in ihr hinterließen. Marion ließ sie ...